Ellenbogenmentalität – Wieviel Höflichkeit ist noch gesund?

Tipps von Dr. Peter Steinbigler: G‘sund sei‘ und g‘sund bleim!

Glaubt man manchen Thesen der Evolutionstheorie, dass nur derjenige seine Gene erfolgversprechend weitergeben kann, der sich gegen andere im Kampf behauptet, dann sind wohl Höflichkeit oder gar Selbstlosigkeit und Zurückhaltung in der Natur nicht hilfreich.

Reden wie zum Beispiel „Frechheit siegt“ oder „Der Ehrliche ist der Dumme“ scheinen zudem Ausdruck dafür zu sein, dass Zurückstecken oder Redewendungen wie „Bitte nach Ihnen!“ wohl nur übertriebene menschliche Konstrukte sein können, aber entwicklungsbiologisch eher den Verlierer kennzeichnen.

Das Wort des Jahres 1982 war „Ellenbogenmentalität“ und ist abgeleitet von der Redewendung „Ellenbogen benutzen“ im Sinne von sich durchsetzen, wie etwa bei Raufereien, beim Vordrängeln oder im Sport, um Konkurrenten zu behindern. Eine Ellenbogengesellschaft ist sogar eine Gesellschaftsform, die auf Egoismus, Konkurrenz und Verdrängung basiert.

Im Gegensatz dazu steht die Höflichkeit, die bereits im 12. Jahrhundert in den deutschen Sprachschatz aufgenommen wurde. Höflichkeit, „dem Hofe entsprechend“, findet sich aber nicht nur in der Sprache, sondern auch in Manieren, bei Gestik, Kleidung und Verhalten im täglichen Leben.

Die Frage ist nur, was das biologisch, medizinisch oder psychologisch bringen soll, wenn man doch im Unterbewusstsein getrieben ist, seine Gene voranzubringen? Auf den ersten Gedanken mag es durchaus gewinnbringender und beruhigender wirken, wenn man dem Konkurrenten den Ellenbogen ins Gesicht rammt, um ihn zu überholen und als Erster auf den Weg zu kommen. Sollte der Weg aber direkt in eine Falle führen, mag eher das höfliche „Nach Ihnen“ davor behüten, dass man seine Gene vor allen anderen ins Verderben führt. Da Primaten, zu denen Menschen auch gezählt werden, in der Regel Gemeinschaftswesen und zur Arterhaltung auf funktionierende Teams, Sippen oder Familien angewiesen sind, ist deren Zusammenhalt entscheidend.

Übrigens haben Forscher der Universitäten Chicago, Zürich und Lübeck jüngst bestätigen können, dass Höflichkeit, Freundlichkeit und Großzügigkeit nicht nur wichtig für das Zusammenleben sind, sondern auch direkt mit Glücksempfindungen verbunden sind. Geben war dabei nachweislich mit mehr Ausschüttung von Glückshormonen verbunden als Nehmen und führte mehrfach zum sogenannten „warm glow“, also zu wohligen Gefühlen. Rein evolutionsbiologisch betrachtet, könnte Höflichkeit auch zur Beschaffung von Nahrung nützlich sein. So konnten Wirtschaftsforscher der Uni Graz zeigen, dass einkaufende Probanden mit freundlichem Benehmen und Komplimenten ans Personal im Fast-Food-Restaurant bis zu zehn Prozent mehr Eis oder Burger bekamen als mit rein formalen Bestellungen. Offensichtlich waren in dieser Studie Komplimente deutlich effektiver als Trink- oder Bestechungsgelder.

Obwohl sich selbstlos auf der Nase herumtanzen zu lassen auch nichts bringt, sind höfliche Umgangsformen laut Sozialpsychologen der Klebstoff für den Zusammenhalt einer funktionierenden Gesellschaft und fördern das Zusammenleben nicht nur durch Produktion von Glückshormonen.

Übrigens könnte man diese arterhaltende Höflichkeit in der noch immer anhaltenden Corona-Pandemie mal ausprobieren: Beispielsweise mit einem unaufgefordert mitgebrachten Test vor einem Treff zum Essen oder Mundschutz in Räumen zu tragen nicht nur bei Erkältung. So könnten höfliche Umgangsformen vielleicht mehr Gene retten und evolutionäre Vorteile bieten als der Kampf mit dem Ellenbogen.

In diesem Sinne – bleiben Sie gesund!

PD Dr. Steinbigler
Chefarzt Innere Medizin - Kardiologie, Klinik Mindelheim

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PD Dr. Peter Steinbigler
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