Wenn von der Wunde ein roter Streifen ausgeht, ist das eine „Blutvergiftung“ – und wenn der Streifen am Herzen ist, ist man tot!“ So oder so ähnlich beschreibt der Volksmund ein Problem, das dringend behandelt werden muss und tatsächlich zum Tode führen kann.
Die Verunreinigung des Blutes mit Bakterien und in dessen Folge die Schädigung des Körpers, wird in der Fachsprache Sepsis genannt. Sie trifft jedes Jahr in Deutschland etwa 300.000 Menschen. Und jeder fünfte davon verstirbt. Damit ist bei uns die Sepsis nach den Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs die dritthäufigste Todesursache.
Was kaum einer weiß ist, dass 75 Prozent der Überlebenden einer Sepsis mit Langzeitfolgen kämpfen müssen und manche sogar als Pflegefälle enden. Am häufigsten erwischt es Rentner und Babies. Der rote Strich, der Richtung Herz wandert, ist ein eher selteneres Anzeichen einer beginnenden Blutvergiftung und entsteht durch entzündete Lymphgefäße.
Verkannt und dadurch zu spät behandelt wird die Sepsis oft, weil deren Symptome auch bei ganz anderen, harmloseren Erkrankungen, die viel häufiger sind, auftreten: Fieber, Schüttelfrost, schneller Puls, Kurzatmigkeit, Schmerzen am ganzen Körper oder ein allgemeines Krankheitsgefühl. „Mir ist hundeelend!“ ist meist der erste Satz des Patienten mit Sepsis in der Notaufnahme.
Die Krebserkrankungen werden weniger aber die Sepsis nimmt zu. Frühe Erkennung und Behandlung sowie rechtzeitige Gabe passender Antibiotika und vorbeugende Impfmaßnahmen könnten etwa 20.000 Todesfälle in Deutschland pro Jahr verhindern! Ursachen sind häufig harmlose Ausgangssituationen, wie verdreckte Wunden, eine verschleppte „Grippe“, Blasenentzündungen oder Virusinfektionen, die sich sekundär bakteriell überinfizieren.
Weil Antibiotika gegen hartnäckige Erreger immer unwirksamer werden oder schlecht lieferbar sind, müssen Hygienemaßnahmen mehr beachtet werden. Entscheidend ist die Händehygiene mit Waschen und Vermeidung des Händedrucks vor allem im Krankheitsfall. Wenn der Körper die Erreger nicht loswerden kann, kommt es zum septischen Schock mit Blutdruckabfall und Organversagen. Jetzt kann nur noch der Notarzt und eine intensivmedizinische Behandlung helfen, weil der septische Schock sonst in 60 Prozent tödlich verläuft.
Vom Kratzer bis zum Tod durch septischen Schock kann es übrigens ganz schnell gehen, weshalb man sich als Angehöriger oft verzweifelt fragt, wie es denn sein kann, dass der liebe Nächste gestern noch beim Sport war und heute tot ist. Entscheidend für Diagnose und Behandlung ist die Identifikation des Bakteriums im Blut, weshalb frühzeitig Blutentnahmen durchgeführt werden müssen.
Pflegende Laien sollten bei ihren Angehörigen eine Sepsis vermuten, wenn die Atemfrequenz erhöht ist, der Blutdruck unter 100 oder gar Wesensveränderungen zu beobachten sind. Entweder der Hausarzt, die Notaufnahme der nächsten Klinik, der kassenärztliche Notdienst unter 116117 oder der Notarzt unter 112 sind segensreiche Helfer, die bei vermuteter „Blutvergiftung“ oder Sepsis schnellstens kontaktiert werden sollten.
Leider wird die Verfügbarkeit von effektiven Antibiotika immer schwerer und die wohnortnahe Notfallversorgung nicht immer leicht zu erhalten, weshalb diese Themen nicht nur zur Sepsisbekämpfung viel mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung verdienen müssen. Denn wenn der „rote Strich“ am Herzen des Gesundheitswesens angelangt ist, muss man sich nicht nur um die Blutvergiftung Sorgen machen.
In diesem Sinne – bleiben Sie gesund!
PD Dr. Steinbigler
Chefarzt Innere Medizin – Kardiologie, Klinik Mindelheim